Mein Stadtfeld - Portrait
fühlte es sich zunehmend befreiender
für mich an. Tatsächlich lernte ich genau
dadurch, komplett zu mir selbst zu stehen. Mein CFS und meine Depressionen
nicht mehr als Schwäche, sondern vielmehr als Inspirationsquelle anzusehen.
Aus Alt mach Neu und werde wieder Neu.
Ich glaube, dieses Motto beschreibt hier
einfach am besten meine Kunst.
Wie verändert die Krankheit Deinen
Alltag und wie sehen Deine Strategien
dazu aus?
Bei mir läuft alles viel langsamer ab.
Während ich früher wie ein Flummi
durch den Alltag hüpfte, führe ich jetzt
eher ein Leben in einem gefühlten
Schneckentempo. Die ersten Jahre
habe ich meine Energie darauf ver(sch)
wendet, ständig zu vergleichen, was ich
früher alles geschafft und gekonnt habe
und was jetzt alles nicht mehr geht. Das
führte natürlich zu noch mehr Frust. Die
eigene Unzufriedenheit wuchs. Heute
versuche ich mir bewusst vor Augen zu
führen, was ich an guten Tagen alles
geschafft habe (und sei es nur der
Einkauf im Supermarkt). Ich versuche
meinen Fokus darauf zu legen, wie ich
jetzt das Beste aus meiner Situation
jetzt machen kann. Dankbarkeit und
Achtsamkeit spielen mittlerweile eine
große Rolle in meinem Alltag. Während
früher für mich ein Bar-Besuch zu den
nicht nennenswerten Unternehmungen
gehörte, ist es jetzt tatsächlich ein
absolutes Highlight für mich, das ich
in vollen Zügen genieße. Ich schätze
definitiv die kleinen Dinge des Lebens
mehr.
Was würdest Du anderen Menschen
raten, die mit einer chronischen
Erkrankung/Behinderung umgehen
müssen?
Steckbrief
Claudia
Simon
Mein Geburtstort: M
Magdeburg
d b
Mein Alter: 37
Mein Wohnort: Stadtfeld West
Meine Familie: Mein Freund und
unsere beiden Boxerhunde Helga
und Franz
Mein Beruf: Kunst- und Deutschlehrerin, freischaffend tätig
Meine Vereine: Fatigatio e.V. Berlin
Sich jemanden anzuvertrauen und
Hilfe zu suchen, Das war eben mein
erster Gedanke. Und dass es nicht von
Schwäche zeugt, sich Hilfe zu suchen,
sondern vielmehr von Mut und Stärke.
Denn letzten Endes geht man somit sein
Problem an und dümpelt nicht weiter im
Dunkeln vor sich hin. Allerdings ist das
eben oft viel leichter gesagt als getan.
Denn teilweise muss man Monate auf einen Termin bei einem Psychotheraputen
warten. Und dann muss ja auch noch die
Chemie stimmen. Genau deshalb finde
ich es persönlich unheimlich wichtig,
sich auch Freunden oder der Familie
anzuvertrauen.
Ich glaube aber, das Wichtigste ist, sich
nicht ständig mit anderen (gesunden)
Menschen zu vergleichen, sondern
vielmehr zu lernen, sich selbst zu lieben,
sich so anzunehmen, wie man (jetzt)
ist. Das klingt vielleicht extrem abgedroschen und plakativ. Ist aber letzten
Endes doch irgendwie der Schlüssel zu
einem erfüllterem Leben.
Welche Motive setzt Du in Deinen
Stücken um und wie lässt Du Dich
inspirieren?
Meine Motive entstehen meist völlig
intuitiv. So sticke ich meist Portraits, die
oft zum Innehalten einladen. Die einen
gewissen Ruhepol im hektischen Alltag
darstellen. Ich glaube, hier inspiriert
mich tatsächlich schon der meditative
Charakter des Stickens an sich zu den
Motiven.
Bei den Stenciln hingegen lebe ich
gerne meine humorvolle Seite aus. Für
mich selbst gibt es tatsächlich nichts
Schöneres als herzhaft zu lachen. Und
wenn der Betrachter ebenfalls anfangen
muss zu schmunzeln, bin ich glücklich.
Je nach Verfassung sticke oder sprühe
ich eben.
Wo kann man Deine Kunst mal bewundern?
Bisher vorranging online in meinem
Etsy-Shop, auf meiner Website (www.
meinhood.shop) oder auf Instagram (@
mein_hood). Ansonsten befinden sich
einige Stickportraits in der Dauerausstellung im Futurium Berlin. Direkt in
Magdeburg gibt es derzeit einige Werke
im schönen Lokalgold zu sehen. Und
vielleicht gibt es demnächst auch mal
wieder etwas von mir im Retrodepot.
Kannst Du davon leben oder hast Du
noch einen Brotjob, wie man so
schön sagt?
Nö! Kann ich leider nicht. Da ein Arbeiten im herkömmlichen Sinne bei mir lei-
Das Magazin für Magdeburg-Stadtfeld
Januar 2021
Claudia beim Ausschneiden einer Schablone auf der Schnittunterlage.
Bist Du nicht eigentlich Lehrerin und
fehlt Dir das nicht?
Oh ja, es gibt so einige Momente aus
dem Schulalltag, die mir fehlen. Gerade
in Kunst konnte ich mit meinen Schülern
viel lachen. Gerade die Oberstufe habe
ich das ein oder andere Mal auch super
gern veräppelt. Es sind vor allem diese
schönen, unbeschwerten Momente, die
mir fehlen. Das viele Korrigieren und
ständige Bewerten vermisse ich hingegen nicht. Ha, ha.
teilgenommen insbesondere Menschen, die im normalen Leben wohl nie
eine Galerie betreten würden vielleicht
aus Angst, gleich in ein hochintellektuelles Kunstgespräch verwickelt zu werden oder mit dem Gefühl, sich eh nichts
leisten zu können. An diesen positiven
Nebeneffekt hatte ich zuvor gar nicht
gedacht. Und was soll ich sagen: Die Atmosphäre auf der Online-Vernissage war
einfach unbeschreiblich toll, sehr vertraut, obwohl wir uns alle nicht kannten.
Völlig verrückt. Aber vielleicht haben
sich gerade aufgrund dieser räumlichen
Trennung die Teilnehmer mehr getraut,
aus sich heraus zu kommen und Fragen
zu stellen.
Corona hat für viele Menschen veränderte Arbeitsbedingungen mit sich
gebracht. Haben sich bei Dir Rahmenbedingungen verändert? Welche
Lösungen hast Du dafür gefunden?
Für mich fühlt sich die Zeit tatsächlich
nicht großartig anders an. Allerdings
habe auch ich in dieser Zeit neue Möglichkeiten ausprobiert. So hatte ich im
Oktober 2020 meine erste Online-Ausstellung mit einer Online-VernissageParty inklusive kleinem Online-Wohnzimmerkonzert. Das war auch für mich
völliges Neuland. Und ich war extrem
überrascht, wie gut Kunst auch in einer
virtuellen Galerie wirken kann. Zudem
haben wirklich viele an dem Onlineevent
Du bist ja Stadtfelderin. Was gefällt
Dir am Stadtteil besonders und was
fehlt vielleicht?
Ich habe ja zwischenzeitlich viele Jahre
in Leipzig gelebt. Als ich dann wieder
zurück nach Magdeburg kam, kam für
mich irgendwie nur Stadtfeld in Frage.
Stadtfeld hat sein ganz eigenes Flair. Es
ist bunt, recht individuell, alternativ,
abwechslungsreich, klein aber fein. Ich
mag die kreativen Köpfe, die sich hier
versuchen, selbst zu verwirklichen sei
es in Form des eigenen kleinen Ladens,
des eigenen kleinen Cafés oder der
kleinsten Bar Magdeburgs, oder oder
oder. Und es gibt hier glücklicherweise
noch einige Altbauten. Hi hi.
der (noch) nicht möglich ist, bekomme
ich eine kleine EU-Rente auf Zeit, für die
ich extrem dankbar bin. Meine Kunst ist
eher ein kleiner Zuverdienst.
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